Wissen hoch N Themen
Luftfahrt – „Es gibt nicht die eine Silver Bullet, die das Klima rettet“

22. 05. 2024
Verfasst von: János Krüger

Luftfahrt – „Es gibt nicht die eine Silver Bullet, die das Klima rettet“

Portraitfoto © Ahmed Nassef, TU Braunschweig
Prof. Dr.-Ing. Jens Friedrichs ist Sprecher des Exzellenzclusters SE²A. Er nimmt einen großen Druck auf die Luftfahrtbranche wahr, nachhaltige Technologien einzuführen.

Das Exzellenzcluster „Nachhaltige und energieeffiziente Luftfahrtsysteme – SE2A“ hat das Ziel, die Grundlagen für eine Transformation im Luftverkehrssystem zu schaffen, um Emissionen deutlich zu reduzieren. Prof. Dr.-Ing. Jens Friedrichs, Cluster-Sprecher und Leiter des Instituts für Flugantriebe und Strömungsmaschinen der Technischen Universität Braunschweig, geht von einem radikalen Umbau des gesamten Flugverkehrs aus. Welche Lösungen zeichnen sich ab und wie kommt das Cluster international an? Der aktualisierte Auszug stammt aus dem Interview des Pressereferats vom September 2023.

Klimaneutralität basiert auf zahlreichen Technologien und Maßnahmen

Was sind aktuell die größten Herausforderungen, vor denen das Cluster steht?

Jens Friedrichs: Der globale Luftverkehr hat inzwischen wieder das Vor-COVID-Niveau erreicht – viel früher als gedacht. Das macht meiner Ansicht nach deutlich, wie groß das Moment ist, die Luftfahrt in Richtung Nachhaltigkeit bewegen zu müssen. Offensichtlich regelt das Verbraucherbewusstsein nicht die Nachfrage. Es gibt sicher den Anspruch zu mehr Nachhaltigkeit, aber zu wenig Angebote. Die größte Herausforderung aktuell ist, dass die Zeit extrem drängt, wenn wir ab 2050 emissionsfrei fliegen wollen. Die neuen Technologien müssen in den nächsten fünf, höchstens zehn Jahren fertig werden, damit sie eine Chance haben, in den Markt zu kommen.

Im Cluster sind wir aus der Phase der breiten Grundlagenforschung zu den verschiedenen Treibstoffkandidaten in die nächste Phase der Down-Selection übergegangen: Wir forschen nun weiter an Sustainable Aviation Fuels (nachhaltige Flugkraftstoffe, Anm. d. Red.), Wasserstoff-Antrieben und am batterieelektrischen Fliegen sowie an der Frage, wie die optimalen Flugzeuge und die Verkehrsführung dafür aussehen müssen.

Zitat: Es geht nicht nur um CO2-Emissionen, sondern um Klimaeffekte insgesamt.

Sie sind mit dem Cluster voll am Puls der Zeit. Wie denken Sie das Thema weiter, auch mit Blick auf eine Cluster-Fortsetzung ab 2025?

Wir werden Klimawirkungen noch stärker bewerten. Vor fünf Jahren stand noch sehr der Carbon Footprint im Mittelpunkt des Interesses. Heute hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nicht nur um CO2-Emissionen geht, sondern um Klimaeffekte insgesamt. Auch Wasseremissionen von Wasserstoff-Antrieben können klimaschädlich sein, wenn sie langlebige Kondensstreifen bilden. Um das zu untersuchen, bauen wir gerade eine Projektgruppe mit Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern auf.

Wir werden uns außerdem noch intensiver mit der Transition des Luftfahrtsystems auseinandersetzen. Wie soll es in 25 Jahren aussehen? Es geht um die Integrierbarkeit von neuen Lösungen in bestehende Flotten, ein graduelles Austauschen von gegenwärtigen Technologien gegen nachhaltigere – sozusagen ein Rollout im laufenden Betrieb. Für Fluggesellschaften, Flughäfen und die gesamte Infrastruktur ist der Austausch eines herkömmlichen Flugzeugs gegen ein Wasserstoff-Flugzeug eine Riesenrevolution. Die Auswirkungen sind gigantisch. Die Grundlagen für diesen nahtlosen Übergang müssen wir deutlicher fokussieren.

Das Bild zeigt zwei Flugzeuge am Himmel: eines aus der Nähe und ein weiter Entferntes mit zwei Kondensstreifen. © Samuel S Photos, unsplash
Die Klimawirkungen des Fliegens ergeben sich nicht nur aus den CO2-Emissionen. Auch Wasseremissionen können klimaschädlich sein, wenn sie langlebige Kondensstreifen bilden.

Der Druck auf die Luftfahrtbranche wird immer größer, nachhaltige Technologien einzuführen. Bekommen Sie den auch zu spüren?

Auf uns kommen Flugzeug- und Triebwerkshersteller zu, denen man den großen Druck anmerkt: Es muss eine Entscheidung getroffen werden, welche Technologien in zehn Jahren in die Flugerprobung gehen soll. Auch von politischer Seite besteht Beratungsbedarf. Wir hatten gerade mehrere Workshops mit dem „Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung“ im Bundestag. Hier ging es um die Frage, welche politischen Rahmenbedingungen für Regel- und Anreizsysteme im Bereich der Klimaneutralität geschaffen werden müssen. Wozu wir überhaupt eine Energiewende in der Luftfahrt bräuchten, fragt heute keiner mehr.

Klar ist: Es gibt keine „Silver Bullet“, die das Klima rettet – es gibt verschiedene Technologien, die sich für verschiedene Segmente jeweils am besten eignen. Die Herausforderung liegt also nicht nur im eindimensionalen Wandel der Luftfahrt. Für Hersteller heißt es, dass sie auf mehrere Technologien wie alternative Kraftstoffe, Wasserstoff und elektrische Energie setzen müssen. Im Vergleich zu heute haben sie also quasi den dreifachen Technologie- und Investitionsaufwand. Das betrifft auch die Rahmenbedingungen.

Zitat: Die absoluten Superbilligflüge gibt es nicht mehr.

Was wird sich für Passagiere und Passagierinnen ändern?

Die absoluten Superbilligflüge – zum Beispiel von einem innerdeutschen Flughafen an eine Mittelmeer-Touristenlocation – gibt es zukünftig nicht mehr. Das waren Preise zum Auffüllen der Kabine. Ich halte das für eine vernünftige Entwicklung. Wie stark sich die Preise verändern, hängt davon ab, wie stark die Nutzungsbereitschaft und Akzeptanz in Richtung Nachhaltigkeit umschaltet. Allgemein gesagt wird es keine radikalen Änderungen für Fluggäste geben. Was aber zum Beispiel eine Rolle spielen wird, ist die Frage, ob es noch Langstreckenflüge über mehr als 8.000 Kilometer geben wird, so wie wir sie heute kennen, das heißt sehr schnell und direkt. Das könnte für Fluggäste bedeuten, dass sie länger unterwegs sind und häufiger umsteigen müssten.

Ist absehbar, welche Lösungen oder Szenarien, insbesondere bei den Antrieben, in den nächsten Jahren in Frage kommen?

Ganz klar Sustainable Aviation Fuels (SAF). Sie dienen zumindest als „Brückentechnologie“, bis wir neue Technologien fertiggestellt haben. Auf der Langstrecke werden diese Treibstoffe langfristig die Lösung bleiben; hier müssen wir die Produktionsroute klären, also welche Ausgangsrohstoffe und Produktionswege am nachhaltigsten sind. SAF ersetzen fossilen Flugzeugkraftstoff und werden zum Beispiel aus biologischen Rohstoffen wie Zucker, Altfetten, erneuerbarer Biomasse und Algen hergestellt oder eben voll-synthetisch produziert. Letzteres ist mit zusätzlichem CO2 aus der Atmosphäre die nachhaltigste Variante – aber leider auch die teuerste. Außerdem ist SAF in allen Produktionsprozessen immer noch teurer als fossiles Kerosin.

Der zweite Energieträger ist Wasserstoff – entweder in der direkten Verbrennung in der Gasturbine oder in Form einer Brennstoffzelle. Diese beiden Varianten werden langfristig zusammen mit dem SAF mindestens 85 Prozent des Transportvolumens abdecken. Die Elektrofliegerei wird mittel- bis langfristig auch mit sehr optimistischen Annahmen nicht mehr als 10 bis 15 Prozent abdecken. Das Problem beim Batteriebetrieb ist, dass man kurze Strecken und geringe Lasten in Kauf nehmen muss.

Zitat: Bei anderer Routenführung fallen die Auswirkungen auf das Klima geringer aus.

Sie gehen von einem radikalen Umbau des gesamten Flugverkehrssystems aus, um es fit für die Zukunft zu machen. Welche Maßnahmen sollten als erstes umgesetzt werden?

Zum Beispiel können bei anderer Routenführung die Auswirkungen auf das Klima merklich geringer ausfallen – und das bei denselben Emissionen. So werden sensible atmosphärische Gebiete umflogen und die Gefahr einer Wolkenbildung reduziert. Das kann technisch sofort umgesetzt werden. Tieferes Fliegen, alternative Routen und geringe Geschwindigkeiten gehen allerdings zu Lasten von vorhersagbaren Reisezeiten und des Reisekomforts. Begrenzt wird die Umsetzung auch durch die Komplexität der Anschlüsse und Taktraten auf den Flughäfen.

Wie ist die internationale Wahrnehmung des Clusters?

Wir führen intensive Kooperationen mit unseren Partnern in Frankreich, den Niederlanden und England. In Europa sind wir eine feste Größe, die Wahrnehmung des Exzellenzclusters ist sehr prominent. In Übersee haben wir gute Kontakte in die Community und sehr starken Austausch. Bemerkenswert ist, dass nicht überall die Einsicht in die Notwendigkeit und die Radikalität im Wandel der Luftfahrt so klar ist, wie wir es in Deutschland und Europa sehen.

 

Exzellenzcluster

Der Exzellenzcluster Sustainable and Energy Efficient Aviation (SE²A) beschäftigt sich mit der Herausforderung, den zukünftigen Luftverkehr effizient zu gestalten und gleichzeitig den konkurrierenden Anforderungen an kontinuierliches Wachstum und ökologische Nachhaltigkeit gerecht zu werden. An SE²A sind neben der TU Braunschweig das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die Leibniz Universität Hannover, die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt beteiligt.

https://www.tu-braunschweig.de/se2a

 

Hier finden Sie weitere Informationen:

Redaktioneller Hinweis: Dieser Text steht unter der CC BY 3.0 DE-Lizenz
Prof. Dr.-Ing. Jens Friedrichs
Address
Technische Universität Braunschweig
Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen
Prof. Dr.-Ing. Jens Friedrichs
Address
Technische Universität Braunschweig
Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen
Technische Universität Braunschweig, Transferservice, Technologietransfer
Address
Rebenring 33
38106 Braunschweig
Technische Universität Braunschweig, Transferservice, Technologietransfer
Address
Rebenring 33
38106 Braunschweig

Bestellen Sie unseren Newsletter.
Folgen Sie uns auf LinkedIn.
Abbonieren Sie unseren RSS-Feed.