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„Wir müssen die Gesellschaft bei der Transformation des Energiesystems mitnehmen“

02. 11. 2023
Verfasst von: Christina Amrhein-Bläser

„Wir müssen die Gesellschaft bei der Transformation des Energiesystems mitnehmen“

Portraitfoto © EFZN
Dr. Knut Kappenberg leitet den Forschungsservice des EFZN und betrachtet bei der Energiewende auch die gesellschaftlichen Folgen.

2016 haben wir beim Energie-Forschungszentrum Niedersachsen (EFZN) nach den Herausforderungen der künftigen Energieversorgung gefragt. Seitdem ist viel passiert – sowohl in der technischen Entwicklung als auch angesichts der globalen Krisen. Dr. Knut Kappenberg leitet seit 2020 den Forschungsservice des EFZN. Der Naturwissenschaftler war in Europa sowohl in der Wissenschaft als auch in der Industrie als Forschungs- und Projektmanager tätig. Die Energiewende betrachtet er als gesamtgesellschaftliche Transformation. Die größten Konfliktpotenziale dabei sieht er aktuell in der sozialen Nachhaltigkeit.

Energieforschung um gesellschaftliche Auswirkungen erweitern

Wissen hoch N: Herr Dr. Kappenberg, die aktuellen Krisen und Herausforderungen, wie Krieg in Europa, Gasversorgung, Wärmewende und Klimawandel, verunsichern viele Menschen. Wie empfinden Sie die Situation – als Privatmensch und als Forschungsmanager?

Knut Kappenberg: Ich glaube, ich kann bei dieser Frage schwierig trennen zwischen Energieforschungsmanager und Privatmensch, denn die Transformation des Energiesystems ist eine ganz besonders große gesellschaftliche Herausforderung. Für mich ist die Energiewende eine Art „Jahrhundert-Projekt“, sie ist so unglaublich komplex und bringt sehr viele Veränderungen für unsere etablierte Lebens- und Wirtschaftsweise mit sich. Manche Veränderungen sind durchaus umstritten und führen zunehmend zu sozialen Konflikten. Es geht oftmals um technische Herausforderungen, aber es sind auch die grundlegenden Beziehungen zwischen den Energietechnologien und der Gesellschaft, die sich verändert haben.

Ein Beispiel: Das soziale Nachhaltigkeits-Barometer hat kürzlich eine negative Bilanz bei der Umsetzung der Energie- und Verkehrswende aufgezeigt. Einige Aussagen waren: Die Energiewende ist zu teuer, zu bürgerfern, wenig verständlich, ungeplant und ungerecht. Ähnlich ist das aktuelle Ergebnis aus einer repräsentativen Studie des Umweltbundesamtes: Über 90 Prozent der Befragten befürworten die Klima- und Umweltpolitik, ein großer Teil fürchtet zugleich, dass sie bei der Umsetzung der klimapolitischen Ziele sozial und wirtschaftlich absteigen. Meine Befürchtung ist, dass es wirklich zu starken sozialen Spannungen, zu gesellschaftlichen Fliehkräften kommen kann, wenn sich dieser Trend in den kommenden Jahren fortsetzt. Und da kommen wir im EFZN wieder ins Spiel.

Inwieweit beeinflussen denn diese Faktoren die Arbeit des Energie-Forschungszentrums Niedersachsen?

Die starke Dynamik bei der Transformation des Energiesystems beeinflusst die Ausrichtung unserer Arbeit ganz stark. Wir bündeln natürlich weiterhin die Expertise in der technischen Energieforschung in Niedersachsen, haben unsere Programmatik aber um die gesellschaftlichen Auswirkungen erweitert. Die Forschungsziele berühren mittlerweile die Ebenen der Energie- und Klimapolitik, aber auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Umsetzung muss regional, national und global erfolgen. Es geht darum, dass wir zu einem nachhaltigen, gesamtgesellschaftlich getragenen Energiesystem kommen. Unserem Leitbild entsprechend versuchen wir, eine klimaneutrale und klimagerechte Gesellschaft mitzugestalten.

Können Sie meinen Eindruck bestätigen, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die hochschulübergreifende Forschung zunimmt?

Ja, absolut. Aus meiner Sicht ist es unabdingbar, dass die Akteure mit dem jeweiligen Inseldenken aufhören. Die Energietransformation betrifft so viele verschiedene Ebenen, und wenn die unterschiedlichsten Disziplinen nicht zusammenarbeiten, dann schaffen wir das nicht. Das ist natürlich eine sehr große Herausforderung. Wir haben in mehreren Workshops Teilnehmende aus den Gesellschafts- und Ingenieurswissenschaften zusammengebracht. Wenn diese miteinander reden, können sie sich nicht gleich verständigen, weil sie unter bestimmten Begrifflichkeiten etwas komplett Anderes verstehen. Ich stelle mir vor, dass die Verständigungsprobleme auf der politischen Ebene, in unterschiedlichen Ressorts, oder in verschiedenen Industrien ganz genauso sind. Deswegen sind die Interdisziplinarität und die Kommunikation ganz, ganz wichtig.

Welche Maßnahmen müssen Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um die Ergebnisse der Zusammenarbeit in die Praxis zu übertragen?

Die wichtigste Maßnahme ist meines Erachtens der Abbau von Bürokratie, also die Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungsprozessen. Es geht darum, dass wir möglichst schnell möglichst viel erneuerbare Energien ins System bekommen, und das dauert zurzeit einfach zu lange. Der zweite wichtige Punkt ist, die Gesellschaft bei der Transformation des Energiesystems mitzunehmen. Das hört sich ganz einfach an, aber es ist eine Herausforderung, Kommunikation und Partizipation zu gestalten.

Einen weiteren Schwerpunkt sehen Sie darin, die erneuerbaren Energien voranzubringen. Vor sieben Jahren hatte der frühere Vorstandssprecher des EFZN, Prof. Dr.-Ing. Hans-Peter Beck, eingeschätzt, 2016 dabei bereits ein Drittel des Weges erreicht zu haben. Wie weit sind wir Ihrer Einschätzung nach heute gekommen?

Wir sind in jedem Fall sehr viel weitergekommen. 2016 befanden wir uns am Ausgang der ersten Phase der Energiewende, in der Stromwende. Da ging es hauptsächlich darum, klimaneutralen Strom zu erzeugen. Mittlerweile sind wir in der zweiten Phase, in der es um das Energiesystem als Ganzes geht – mit all den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Traditionell wurden früher die Sektoren Elektrizität, Wärme, Verkehr und Industrie völlig unabhängig voneinander betrachtet. Doch wir müssen raus aus dem Inseldenken, miteinander sprechen und die einzelnen Sektoren koppeln, um ein optimiertes Gesamtsystem zu erhalten.

Es gibt noch so viel zu tun: Wir brauchen einen stark beschleunigten Ausbau von Wind- und Solarenergie. Die Wärmesanierung der Gebäude muss deutlich gesteigert werden, da lassen sich so viele CO2-Emissionen vermeiden. Die Industrie braucht einen klaren Rahmen für klimaneutrale Produktionstechniken. Es geht um riesige Investitionen in neue Anlagentechnik, zum Beispiel Stahlherstellung auf wasserstoffbasierten Verfahren oder elektrifizierte Prozesswärme. Bei der Verkehrswende haben wir gesehen, dass CO2-armer Verkehr möglich ist, aber wir benötigen auch hier schnelles, klares Handeln, die Umstellung auf emissionsfreie Fahrzeuge und den Ausbau der Infrastruktur. Wir brauchen alle diese Optionen, es gibt kein alleiniges Allheilmittel.

Was kann die Forschung dazu beitragen, um diesen Prozess zu beschleunigen?

Ich glaube, die Planungs- und Genehmigungsverfahren sind zurzeit die größten Hemmnisse der zeitlichen Umsetzung. In Niedersachsen gibt es hier wichtige Schritte durch die sogenannte Taskforce Energiewende, die sich aus den unterschiedlichsten Akteuren zusammensetzt und den Ausbau von erneuerbaren Energien sowie Übertragungsnetzen in Niedersachsen beschleunigen will. Die Forschung ihrerseits sollte noch stärker interdisziplinär arbeiten. Wir am EFZN bieten Vernetzungs-Plattformen an, die Stakeholder aus Forschung und Wirtschaft zusammenbringen. Mit unserem Forschungsservice etablieren wir Kompetenz- und Themennetzwerke in Niedersachsen. Daraus sind Forschungsverbünde und konkrete Projekte entstanden, die in die Umsetzung gehen. Der EFZN-Forschungsverbund Wasserstoff Niedersachsen gilt für mich als Vorbild, um das Tal der Grundlagen- und Laborforschung schnell zu überwinden und in den Transfer zu kommen (siehe Beitrag zum H2-Kompetenzpapier). Nach dieser Blaupause bauen wir gerade weitere Plattformen auf, zum Beispiel zu Geoenergie und soziotechnischen Energiesystemen.

Wann halten Sie die Energiewende für geglückt?

Mhm, das ist eine super schwierige Frage. … Ich glaube in dem Moment, in dem die Energiewende aus Deutschland ein Exportprodukt würde. Soll heißen: Wenn Deutschland sich als Wirtschafts- und Innovations-Standort gut darstellt und eine Energiewende inklusive hoher gesellschaftlicher Akzeptanz schafft. Im besten Falle könnte das andere Länder überzeugen, es genauso zu machen.

Interview: Christina Amrhein-Bläser

Redaktioneller Hinweis: Dieser Text steht unter der CC BY 3.0 DE-Lizenz
Leibniz Universität Hannover, uni transfer
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