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Maschinelles Lernen – von Quantenoptik bis Schwerelosforschung

14. 07. 2025
Verfasst von: Emre Tahtali, Lea Richtmann, Christoph Lotz, Alexander Wanner, Michèle Heurs, Daniel Klaas, Marco Adamscheck

Maschinelles Lernen – von Quantenoptik bis Schwerelosforschung

Auf einer Metallplatte stehen unzählige Spiegel, Motoren und Halterungen. © Lea Richtmann, LUH
Bei optischen Experimenten gibt es unzählige kleine Stellschrauben zu drehen. Wenn ein System lernen würde, sie durch maschinelles Lernen richtig einzustellen, wäre das eine große Hilfe.

Für Forschungsbereiche wie Quantencomputer, schneller und sicherer Datentransport oder Raumfahrt sind aufwendige Experimente und Forschungsgeräte notwendig. Maschinelles Lernen hilft dabei, schnellere und bessere Ergebnisse bei konkreten Anwendungen zu erzielen. Die folgenden Beispiele demonstrieren den alltäglichen Umgang mit Methoden des maschinellen Lernens im Kontext experimenteller Forschung an der Leibniz Universität Hannover. Schon jetzt zeigen sichtbare Resultate, dass die tägliche Laborarbeit von den neuen Entwicklungen profitiert.

Experimente mit maschinellem Lernen optimieren

Manche Quantenexperimente erfordern komplexe optische Systeme, die einen Laserstrahl mit Hilfe von Spiegeln sehr präzise durch das Experiment lenken. Die Forscherinnen und Forscher am Institut für Gravitationsphysik der Universität Hannover versuchen damit, Quantenzustände zu messen, zu stabilisieren und zu kontrollieren. „Dabei benötigen wir sehr viel Geduld, Ruhe und Fingerspitzengefühl, weil wir viele kleine Schräubchen drehen müssen, um ein optimales Ergebnis zu erhalten“, schildert Lea Richtmann die tägliche Arbeit im Optiklabor. Ein konventionelles Automatisierungsprogramm, das die Schrauben in vorgegebener Weise justiert, ist nicht flexibel genug, wenn der ideale Weg des Laserstrahls oder daraus resultierende Einflüsse unbekannt sind. Für solche Fälle erforscht das Team den Einsatz von maschinellem Lernen.

Eine Hand im Schutzhandschuh dreht an einer Schraube. An den Schrauben daneben sind Motoren angebracht. © Lea Richtmann, LUH
Solche Spiegelhalter werden typischerweise in einem Optiklabor verwendet. Die Schräubchen, die beim rechten Halter von Hand gedreht werden, sind beim Halter links durch rote Motoren ersetzt worden.

Belohnung führt KI zum gewünschten Ergebnis

Bei der Methode des bestärkenden Lernens (Reinforcement Learning) interagiert ein „Agent“ – das Computerprogramm – mit einem „Environment“ – dem Experiment. Der KI-Agent dreht zum Beispiel mit Motoren an Stellschrauben, das Environment meldet zurück, wie gut der Laserstrahl die gewünschte Stelle trifft. Der Agent erhält eine Belohnung, wenn sich das Ergebnis verbessert hat und mehr Licht an der richtigen Stelle ankommt. Im Training weiß der Agent nicht, was das Ziel ist, und führt zu Beginn komplett zufällige Aktionen aus. Durch die Belohnung lernt er mit der Zeit eine Strategie, die zum gewünschten Ergebnis führt. Lea Richtmann erklärt, „der Agent könnte auf diese Weise auch einen Weg finden, den sich ein Mensch nicht ausgedacht hätte“.

Herausforderungen im praktischen Einsatz

Allerdings gibt es in der Praxis weitere Herausforderungen, sobald der Agent nicht nur auf einer Simulation trainiert wird, sondern tatsächlich Aktuatoren wie Schräubchen bewegt. Daher gibt es im experimentellen Bereich noch sehr wenige Anwendungen. „Im Labor schwanken die Temperaturen, Motoren laufen nicht perfekt, Komponenten fallen aus oder Sensoren messen ungenau“, zählt Lea Richtmann einige Probleme auf. „Das Trainieren eines Machine-Learning-Algorithmus auf einem Experiment ist daher ziemlich schwierig und bringt außerdem hohe zeitliche und finanzielle Kosten mit sich.“ Aktuell arbeitet sie daran, das Reinforcement Learning so zu gestalten, dass es mit den experimentellen Herausforderungen im Labor umgehen kann.

Eine Simulationsanlage für die Weltraumforschung

In einem anderen Forschungsbereich geht es um die Simulation von weltraumähnlichen Gravitationsbedingungen wie der Schwerelosigkeit in Verbindung mit quantenphysikalischen und produktionstechnischen Fragen, die für die Weltraumforschung relevant sind. Dafür wird der Einstein-Elevator, ein Freifallturm der neuen Generation, genutzt. Hierzu erforschen und entwickeln das Institut für Transport- und Automatisierungstechnik (ITA) sowie das Institut für Mikroproduktionstechnik (IMPT) KI-Anwendungen, die Sensoren und bereits bestehende Daten der Anlage sinnvoll nutzen. Zudem sollen zusätzliche Sensoren das System erweitern.

Schematischer Aufbau des Einstein-Elevators © Christoph Lotz, LUH
Aufbau des Einstein-Elevators: In der Gondel im 25 Meter hohen Fallturm finden Experimente in Schwerelosigkeit statt.

Verschleiß an Anlagen frühzeitig detektieren

Um die Anlage und damit auch die Qualität der simulierten Gravitation, die für die hochpräzisen Quantenexperimente notwendig ist, zu überwachen, werden mehrere Sensoren und Messeinheiten verwendet. Die aktive Überwachung und damit auch die Auswertung der Daten soll mithilfe einer KI erfolgen. „Insbesondere schleichende Veränderungen, die durch Alterung und beginnenden Verschleiß entstehen, wollen wir detektieren, um die Qualität der Versuche auch in Zukunft zu gewährleisten“, berichtet Emre Tahtali, Wissenschaftler am ITA.

Die Frequenzwellen einer Beschleunigung werden in ein farbiges Spektrogramm übertragen. © Emre Tahtali, LUH
Die vom Sensor aufgenommenen Beschleunigungen werden transformiert, sodass die unterschiedlichen Frequenzen und ihre Intensitäten sichtbar werden. Diese Daten dienen als Grundlage für neuronale Netze, die Veränderungen in der Anlage beobachten.

Ist-Zustand mit optimalem Zustand vergleichen

Die Sensordaten, zum Beispiel die Beschleunigung und die Frequenzen aller aufgenommenen Schwingungen, werden im zeitlichen Verlauf dargestellt. Aus diesen werden Bilder beziehungsweise Spektrogramme erstellt, die sich für die Anwendung von neuronalen Netzen und für Semi-Supervised Machine Learning nutzen lassen. „Als erstes Ziel soll das neuronale Netz Verschleiß oder andere Veränderungen in der Anlage detektieren und beobachten“, erklärt Emre Tahtali. „Langfristig wollen wir darüber auch die Ursachen identifizieren.“ Als ersten Überwachungsansatz entwickelten die Forschenden daher einen Convolutional Autoencorder (CAE). Ziel des CAEs ist es, jedes Eingangsbild aus dem optimalen Zustand bestmöglich nachzukonstruieren. Weisen die Bilder Unterschiede auf, ist davon auszugehen, dass Anomalien im Datensatz, beispielsweise Verschleiß, vorhanden sind.

 

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Redaktioneller Hinweis: Dieser Text steht unter der CC BY 3.0 DE-Lizenz
Zitation: Tahtali, E., Richtmann, L., Lotz, C., Wanner, A., Heurs, M., Klaas, D., & Adamscheck, M. (2025). Maschinelles Lernen – von Quantenoptik bis Schwerelosforschung. Wissen Hoch N. https://doi.org/10.60479/TVAH-VG55
M. Sc. Lea Richtmann
Adresse
Leibniz Universität Hannover
Exzellenzcluster QuantumFrontiers
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M. Sc. Emre Tahtali
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Leibniz Universität Hannover, uni transfer
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